Man muss kein Fußballfan sein, um die moderne Rolle der Intuition zu begreifen. Oder besser noch: Man sollte gar kein Fußballfan sein. Dann kann man viel besser erkennen, wovon Kommentatoren live oder im Nachhinein reden. Sie gebrauchen Worte wie „antizipieren“ oder „mitgedachte“ Aktionen.

Im Klartext bedeutet das, dass ein erfolgreicher Spieler nicht nur den Ball gut beherrschen soll, sondern auch strategisch eingreifen soll. Und im Klartext werden Worte gebraucht, die mitten im Spiel ziemlich unsinnig sind – „mitdenken“ zum Beispiel. Wer einmal bestimmte Spitzenspieler erlebt hat, die sich bei scheinbaren Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern bis zur roten Karte oder zu Tätlichkeiten hinreißen lassen, weiß, dass in diesen Momenten der Verstand wohl ziemlich ausgeschaltet war.

„Antizipieren“ trifft da schon besser, ein Wort, das inzwischen bis zum Überdruss verwendet wird, wenn ein Spieler genau dort auftaucht, wo plötzlich ziemlich überraschend ein Ball hingeschlagen wird. Das kann man einstudieren, im wirklichen Spiel sind solche Dinge sehr problematisch. Der Verstand benötigt nämlich Zeit, um eine Situation zu beherrschen. Besser ist es, wenn man trainiert, wirklich „intuitiv“ zu sein, nämlich übergeordnete Informationsfelder im richtigen Moment mit der richtigen Fragestellung (!) anzuzapfen.

Solche Gedankengänge sind aber im Moment von den Massenmedien gar nicht gern gesehen. Die offizielle Anweisung, wie man in vielen Artikeln, beispielsweise zur Homöopathie, sehen kann,  zeigt genau das. „Der Verstand regiert, und daneben gibt es nichts. Schon „Instinkt“ ist anrüchig – das machen Tiere. „Bauchgefühl“ geht grade noch, ist irgendwie als weiblich abqualifiziert und verweist im Zweifelsfall auf ein Neuronengeflecht im Solarplexus, das noch wenig erforscht ist und offenbar eine Spezialaufgabe hat. Vielleicht nur, um beim Eintreten von substanzieller Gefahren den Brechreiz auszulösen.

Da kommt das Wort „antizipieren“ doch gerade recht. Es klingt so wissenschaftlich.

Im Prinzip meint es aber, dass der Spieler in diesem Moment die „Eingabe“ hatte, sich zu einem bestimmten Punkt hinzubewegen. Das ist aber gar nicht vom Verstand her zu lösen.

Doch, werden Fußballanalytiker einwenden. Man kann als Stürmer immer darauf achten, wo vor dem Tor ein freier Raum entsteht. Und immer, wohlgemerkt immer, dorthin laufen um aus statistischen Gründen auch mal erfolgreich zu sein. Das hat Mario Gomez probiert. Zu Beginn seiner Karriere, vor über zehn Jahren, erzielte er viele Tore. Dann merkte man, welches System dahinter stand und schon blieben für den Stürmer keine Räume mehr oder nur noch solche, wo man den Ball auch beim besten Willen nicht mehr hinexpedieren konnte.

Trotzdem hatte er dann wieder erfolg – bei einem türkischen Club. Man kann spekulieren, ob es der strategische Nachholbedarf der Türken oder vielleicht doch ihre noch immer gehaltene Nähe zu natürlichen, intuitiven Fähigkeiten. Es benötigt nämlich einen Vorlagengeber.

Aus Untersuchungen in der Psychologie weiß man, dass man ein Orchester „synchronisieren“ kann. Hier kann man immer noch den Takt eines Stückes verantwortlich machen. In einem Spiel nicht.

Ich lese gelegentlich moderne Spielanalysen. Der neueste Trend, von den Spitzenvereinen vorgeführt, beinhaltet, dass man den Gegner auf dem Feld verschiebt, um dann plötzlich mit langen Bällen einen Spieler dicht vor dem Tor zu erreichen. Wichtig ist dabei, dass es plötzlich geschieht. Aus heiterem Himmel sozusagen. Wenn der Gegner gerade dabei ist, selbst ein Tor schießen zu wollen.

Im Getümmel des Spiels ist es kaum möglich, solches verstandesmäßig durchzuführen. Schon wenn sich der Vorlagengeber nur um einen oder zwei Meter in dem Standort des angenommenen Stürmers irrt, bleibt der Versuch erfolglos. Die Verteidiger im Profifußball sind ja auch nicht doof und machen die Räume zu.

Dann ist es wichtig, zu „antizipieren“.

Moderne Vereine haben spezielle Coaches dafür. Ich weiß es aus persönlichen Verbindungen. Einer der ersten, die diese Art des Trainings besonders benutzt haben, war Klinsmann, als er Bundestrainer wurde. Sie erinnern sich? Das „Sommermärchen“ von 2006.

Dann bekam er Probleme mit den anderen „Strategen“ in seinem Umfeld, es gab Streitereien und er kündigte. Danach übernahm er die US-amerikanische Nationalmannschaft und binnen Kurzem spielte diese in der Weltspitze mit.

Aber offiziell wird so etwas lediglich als „Motivationstraining“ kommuniziert. Denn in unserer wissenschaftlich doktrinierten Welt darf etwas, was nicht erforscht ist, nicht sein. Und nicht erforscht ist es deshalb, weil es 1. keine Messinstrumente dafür gibt außer der Statistik und 2. weil es die eingefahrene, verkalkte Position der aktuellen Wissenschaft verunsichern könnte. Und wie soll man dann kompetent erscheinen, wo davon doch die Zuschüsse aus der Industrie abhängen, wofür die Forschungsanstalten heute fast nur noch tätig sind?

Mit dieser Ablehnung von allem, was nicht sofort mit mechanistischen newtonschen Argumenten erklär werden kann, befindet sich das kapitalistische System genau in der Situation, die man in den kommunistischen Systemen gepflegt hat: Der Verstand regiert, sonst nichts. Diamat – dialektischer Materialismus.

Eigentlich bedeutet es, dass wir in einem starren, eingefahrenen System leben, in dem die Herrschenden, welchem Weltbild auch immer angehörend, Angst haben, dass sich etwas ändert. Weil man die Kontrolle verlieren kann. Denn die Intuition begibt sich zu den wahren Information, direkt, ohne über Los zu gehen und 4000,- € einzuziehen. Und wenn etwas ohne Geld funktioniert, weil es der Wahrheit dient, bleibt nur das Gefängnis.

Ehemalige Bürger der DDR äußern das schon als antizipierte Meinung: Darin sind wir jetzt. da, wo die DDR auch mal war. Kurz vor ihrem Ende.

Aber wir haben ja noch den Fußball mit seiner Breitenwirkung. Vielleicht kommt von daher die allgemeine Akzeptanz der Quantenmechanik. Gut ist, was sich bezahlt macht.

Und kein Wunder, wenn Lehrgänge in „unterschwelliger Intelligenz“ oder „Intuition“ einen klammheimlichen Aufschwung erleben. Auch wenn zum Beispiel Trump sagt, "ich folge meinem Instinkt". Zum Glück ist das etwas anderes als Intuition.