Sonderseite zum AKW-Störfall in Japan

Marco K. war jahrelang in verschiedenen deutschen Atomkraftwerken beschäftigt und hat uns für Viewer und andere Interessierte seine Einschätzungen übermittelt. Man muss sich etwas einlesen, aber man bekommt Einblicke, die sonst kaum zu finden sind, bei den großen Medien erst recht nicht.

Wir werden vesuchen, die Aussagen mit Sessions zu unterlegen. Neueste Mail hier: 7. Mail vom 27.3.2011 Neue korrigierte Statements zur Lage, Einschätzung, was noch möglich ist

1.Mail 13./14. 3. 2011

Hi Leute,

ich hatte am Wochenende versucht, einen Bauplan (Skizze) von Fukushima zu bekommen. Auf der englischen Wikipediaseite zu Fukushima Daiichi (akuteller Treat) wurden die für mich bisher detailiertesten Infos zusammengefasst. Aus dieser Quelle stammt auch die beigefügte Sikzze.
Was in den Medien läuft ist oft nicht brauchbar.

Wie ich bereits am Samstag vermutete, wurde der gesamte Beckenflur weggerissen. Das heißt das Brennelementbecken mit den neuen bzw. schon verbrauchten Brennelementen (besonders schmutzig) die dort zum Abklingen stehen, liegt jetzt unter freiem Himmel. Auch dieses Becken muss ständig gekühlt und nachgefüllt werden, auch wenn dort die Brennelemente in einem Gitter stehen, das keine Kritikalität erlaubt.

Eine Art-Plattenbau ohne massiven Stahlbeton als Ummantelung für den Beckenflur zu verwenden ist schlichter Wahnsinn.
Nun trennen nur noch der Deckel des Reaktordruckbehälters (RDB), dessen Abdeckhaube und ein paar Betonriegel den Reaktor von der Außenwelt.
Sollte der RDB durch die in ihm wahrscheinlich stattfindende Kernschmelze weich werden oder gar schmelzen, findet dies quasi unter freiem Himmel statt. Dieser Reaktortyp hat keinen Sicherheitsbehälter(Containment)im HEUTIGEN Sinne. Das Containment ist durch die dicke Wand um den RDB dargestellt, aber eben nach oben quasi offen, eben durch die sträfliche Fehlkonstruktion des Daches und der Wände des Deckenflures.
Offenbar hat man dort, da diese Teile nicht tragend, sondern nur selbsttragend sein müssen, auf ordentliche gegossene Stahlbetonbauweise verzichtet.

Das Reaktorgebäude ist nicht wie in Deutschland in den meisten Kernkraftwerken (allen Druckwasserreaktorn einschließlich Biblis) in einer druckdichten Stahlkugel eingeschlossen. Ausnahme wäre z.B. Gundremmingen (Siedewasser-reaktor). Dort existieren Spannbetonbehälter wie in Frankreich und den USA üblich (wovon ich persönlich nichts halte). In Druckwasserreaktoren ist auch das BE-Becken mit in einer solchen Kugel. Die Siedewasserreaktoren Brunsbüttel und Co haben (soweit mir bekannt) zumindest den Reaktor in einer extra Stahlkugel und das BE-Becken in einem Stahlbetongebäude.

Bei den amerikanichen General-Elekrtic-Reaktoren in Fukushima (1-4) existiert zudem nicht wie in Gundremmingen eine Kondensationskammer, die den Reaktor umgibt. Bei Störfällen (Stromausfall) in Siedewasserreaktoren kommen automatisch die Schnellschlussventile, die im Normalzustand nur durch einen Elektromagneten gegen eine massive Feder usw. offengehalten werden, zum Einsatz. Dadurch kann kein radioaktiver Dampf mehr die Turbine betreiben (Strombedarf wird nicht mehr durch Eigenleistung gedeckt.

Der Sinn ist, Sicherheit dadurch herzustellen, dass der Dampf nicht mehr durch alle Anlagenteile fließt. Dennoch produziert der Reaktor aufgrund der Nachzerfallswärme der gemäß der nach ihrer Zerfallsreihe weiterhin zerfallenden Spaltprodukte weiterhin Dampf in gewaltigen Mengen (die Medien nennen oft 7% der Gesamtleistung des Kraftwerkes). Diese 7% sind aber die thermische Leistung und nicht die elektrische, der Faktor zwischen diesen ist ca. Faktor 3. Also bei 500MW elektrisch in Fukushima muss man ca. 1500MW thermisch annehmen und davon 7% macht ca. 105MW thermisch im Reaktor. Das ist allerdings eine absolute Daumenpeilung und keine genaue Rechnung. Hat man eine Kondensationskammer, kann man den Dampf aus dem Reaktor daneben direkt in die Wasservorlage (mehrere Kubikmeter, wirklich viel) einleiten und so kondensieren. Das Wasser aus der Kondensationskammer kann dann wieder in den Reaktor gepumpt werden.

Da diese japanischen Reaktoren das nicht haben und der Reaktorkreislauf höchstwahrscheinlich mehrere Lecks hat, ist denen sicher die Wasserreserve ausgegangen. Die Überlegungen, mit Süß- oder gar Salzwasser zu kühlen, kommen eben daher, dass wohl kein aufbereitetes Wasser (Deionat) mehr zur Verfügung steht. Generell ist Kühlung mit salzhaltigem Wasser schlecht (mehr Aktivierungsprodukte und Korrosion) wobei beides in Japan zur Zeit nicht ins Gewicht fallen würde, da der Reaktor ja unterkritisch sein soll. Würde er aufgrund der Kernschmelze wieder kritisch werden (Formveränderung des Kerninventars zur Kugel(Schmelzperle)und senkt sich die benötigte Kritische Masse enorm, könnte sich die Aktivierung der "schmutzigen" Wasserbestandteile als unangenehm erweisen. Aber das ist, wie gesagt, marginal zur Katastrophe der Kernschmelze.

Dass man den Reaktor jetzt von außen kühlt, mag gut oder auch schlecht sein. Erstens muss man, wenn man einen Reaktor von innen kühlen will, gegen dessen Druck anpumpen (Druckwasserreaktor ca. 157 bar). Bei Siedewasserreaktoren wie in Japan ist der Druck ca. 70 bar, aber das ist nur eine Hausnummer. Dazu aber ist man offenbar nicht mehr in der Lage, jedenfalls geht das nicht mit einem Feuerwehrschlauch. Dass man dann kein Wasser in den Reaktor einspeist, wenn die Brennelement frei liegen, kann bei ausreichender Außenkühlung (so diese denn ausreichend sein kann) richtig sein.
Erstens werden die Neutronen durch das fehlende Wasser nicht mehr gebremst und können so keine weitere Spaltung auslösen (der Moderator fällt, anders als in Tschernobyl, wo die Graphitblöcke nicht mehr vom den Brennstäben getrennt werden konnten und der Reaktor weiter kritisch blieb). Dieses Fehlen von Wasser als Moderator ist im Extremfall gewollt und wird als negativer Dampfblasenkoeffizient bezeichnet, dass muss man nachweisen wenn man in Deutschland ein AKW genehmigt bekommen will.
Zudem kann man auch viel falsch machen, wenn man zuviel Wasser nachspeist. Da das Wasser inkompressibel ist und durch die Hitze ständig mehr Dampf aus dem zugeführten Wasser produziert werden würde, könnte der Druck so stark werden, dass der RDB reißt. Das kennt man vom Automotor, wo Wasser im Hubraum des Kolbens landet und die Benzinexplosion den Motor sprengt. Ausgeschlossen wäre das nur, wenn der RDB schon gerissen, also druckfrei wäre. Dann könnte man beliebig viel Wasser darauf gießen.

Alles in allem kann man sagen, dass die jetzige Situation das Resultat einer Naturkatastrophe und einer nach heuten Maßstäben verfehlten Kraftwerkskonstruktion ist. Der Reaktor stammt wohl von 1967, d.h. der Bauplan ist noch älter, vermutlich aus einer Zeit, wo man gerade anfing, AKW's zu bauen. Hier zeigt sich, wie dumm es ist, unabhängig von der technischen Entwicklung AKW's 40 Jahre laufen zulassen. Man muss diese bei Technologiesprüngen und neuen Erkenntnissen eben durch neuste Modelle ersetzen. Dass diese Fehler bei nun wohl allen drei zum Zeitpunkt des Bebens notabgeschalteten Blöcken auftreten und zwei davon schon die Ummantelung des Beckenflurs durch eine Explosion verloren haben, erhärtet meine These der grundlegenden Konstruktionsmängel der Kraftwerksbaureihe.

Aus der Unterstellung heraus, dass kritische Systeme gleicher Bauart auch den gleichen Konstruktionsfehler haben können, verwendet man in Deutschland teilweise bei kritischen Systemen unterschiedliche Funktionsprinzipien und Hersteller (z.B. bei Nachkühlpumpen in Gundremmingen).

Dass eben dieser Aspekt, dass nämlich diese Kraftwerke nach heutigen Maßstäben Fehlkonstruktionen sind, die konstruktionsbedingt alle dieselben Schwächen aufweisen und daher das selbe Verhalten/Versagen zeigen, nicht in den Medien und von unserer Politik beleuchtet wird, halte ich für sehr bedenklich. Icher will man nicht die Panik schüren. Wenn heute jemand mit einer Ju-52 über dem Atlantik abstürzte, würden doch auch alle sagen, ja so ein altes Teil, das musste so kommen! Ein bisschen Sturm und das Ding geht zu Bruch. Das Fliegen würde sicher niemand in Frage stellen. (Nichts desto trotz gibt es auch in Deutschland AKW's, die ich abgeschaltet und ggf. durch Neubauten ersetzt hätte... gerade die alten Siedewasserreaktoren)

Wegen einer oder ggf. drei partiellen Kernschmelzen d.h. wenn der Reaktordruckbehälter intakt bleibt gehts weiter... das ist nicht sooo schlimm, macht aber die Entsorgung extrem schwierig. Sicher ginge das aufgrund der massiven Kontamination erst in einigen Jahrzehnten. Das schlimmste in der aktuellen Situation ist, dass das Reaktorgebäude oben offen ist und somit sämtliche Kontamination, die der Reaktor ins Gebäude abgibt, nach außen dringt. Dies ist ein so sträflicher Konstruktionsfehler, dass es nicht in Worte zu fassen ist. Wie es bei einer kompletten Kernschmelze aussieht, kann ich nicht abschätzen. Hoffen wir, dass dann alles möglichst breit im unteren Reaktorgebäude auseinander läuft (und somit unterkritisch bleibt und man dann oben Sand drauf kippen kann, um das ganze zu verglasen und später einzubetonieren.
In so einem Fall ist an einer Entsorgung wie in Tschernobyl nicht zu denken. Dort starben übrigens viele Leute an Bleivergiftung, weil man versuchte, den Reaktor statt mit Sand/Beton mit Blei zu kühlen und zu verschließen bzw. abzuschirmen. Das Blei verdampfte in der Hitze, wurde eingeatmet und weitverteilt. Einzig allein keramische Materialien machen Sinn.

Die Lage in Japan schätze ich als äußerst ernst ein. Steuerbar ist sie nicht mehr, aber möglicherweise noch beherrschbar. Hoffen wir das Beste!

Ich hoffe, dass ich euch (auch ungefragt) ein paar Details zu den Vorgängen dort erklären konnte. Wie gesagt es basiert alles auf meinem begrenzten Kenntnisstand und meinen begrenzten Informationen, ist aber hoffentlich nicht ganz daneben.

Liebe Grüße und keine Strahlende Zukunft Euer Marco

P.S: Jodtabletten in Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt einzunehmen (Jodblockade der Schilddrüse) wäre eher dumm und schädlich als gesund.
Ab einem gewissen Alter macht das eh keinen Sinn mehr. Bei Kindern und Leuten mittleren Alters mag es noch nützen. Bei zunehmendem Alter ist die Gefahr einer Auslösung einer Schilddrüsen-Überfunktion viel, viel höher als die Chance an Schilddrüsenkrebs zu sterben.